Leseprobe:

ACHTUNG FSK 16

                           
Vollkommen VI
Voll des Wahns, sie endlich verstehen zu können, trieb er sich den Dolch tief ins Fleisch. Er hörte das Kratzen und Schaben der Klinge an seiner Schädeldecke und unterdrückte mit Mühe jeden Schrei. Zitternd löste er den Hautlappen, der auf dem Knochen lag. Das Blut lief ihm die Stirn hinab. Vernebelte seine Sicht mit einem roten Schleier. Er schnappte bebend nach Luft bei dem Anblick seines Skalps, den er sich vom Schädel gelöst hatte, und warf ihn dann achtlos zur Seite. Er war noch nicht fertig.

Bittsteller
Saftig klatschte die überreife Frucht auf den Marmor. Der süß-saure Geruch stach in seiner Nase, während sich dröhnend die Wespen über das verdorbene Obst hermachten. Ihr Summen wummerte wie das verzerrte Trommeln einer weit entfernten Parade in seinen Ohren, unterdessen die brütende Hitze in Wellen auf seine Sinne drückte. Die Perversion des Überschwangs an einem Ort wie diesen, während sein Dorf verhungerte, lag übler in Kedriks leeren Magen als der beißende Gestank des Fallobstes in der Nase.
Er wartete schon drei Tagen in der Schlange der Bittsteller, die vom Tempel bis zu den Außentoren reichte, und wagte nicht, seinen Platz zu verlassen, aus Angst, jemand würde ihn einnehmen und das Warten wäre umsonst gewesen. Schlimmer setzte ihm nur die Sorge um sein Dorf zu. Seit Wochen hatten sich Räuber darin breitgemacht. Zunächst forderten sie nur Essen und Alkohol, doch damit waren sie schon lange nicht mehr zufrieden. Während Kedrik allein zur weißen Stadt aufgebrochen war, versteckten sich seine Frau und Tochter im Vorratskeller hinter den wenigen Säcken Getreide, die ihnen übrig geblieben waren, um den Tribut für das Bittgesuch zu bezahlen. Wäre er ein Krieger, hätte er gekämpft. Doch niemand aus seinem Dorf konnte sich wehren, weshalb sie dringend Hilfe von außen brauchten. Dennoch war keiner bereit gewesen, ihm zu folgen, aus Angst vor dem herrschenden Volk, die jene Furcht vor den Räubern übertraf…